Arbeitsrechtliche Betrachtung: Pflegenotstand und mögliche Folgen

Medizin brennt. Das hat nicht nur auf Patienten Auswirkungen, sondern auch und gerade auf medizinisches Personal, Klinikleitungen und niedergelassene Ärzte. Stationen müssen schließen, Krankenhäuser und Praxen sind aktuell gezwungen, Patienten abzuweisen. Wer trotz Arbeitsüberlastung versucht, den medizinischen Betrieb aufrechtzuerhalten, befindet sich in stetiger Gefahr, dass ihm Fehler unterlaufen. Haftungsfragen von vornherein möglichst auszuschließen, gelingt nur mit genau definierten Arbeitsverträgen, detaillierten Dienstanweisungen und strukturierter Personalplanung.

Aufklärungsfehler und Organisationsfehler: Haftungsfragen

Mitunter sind es Patienten und Angehörige, die sich nicht richtig aufgeklärt fühlen, obwohl das Aufklärungsgespräch ausführlich geführt und dokumentiert wurde. Bei hoher Arbeitslast ist es jedoch nicht ausgeschlossen, dass Missverständnisse nicht rechtzeitig ausgeräumt werden oder im Einzelfall tatsächlich die Information nicht zum Patienten oder seinen gesetzlichen Vertreter gelangte. Jetzt heißt es, sich gegen mögliche Regressansprüche abzusichern. Eine rechtzeitige Beratung in Sachen Patientenrecht und Haftung kann dazu beitragen, sich gegen den Vorwurf der rechtswidrigen Operation abzugrenzen. Erfolgt eine solche ohne vorherige Aufklärung, kann der Anspruch auf Schmerzensgeld entstehen, auch wenn bei der Behandlung keine Fehler unterlaufen waren.

Opt Out: Arbeitsverträge für Ärzte

Mit einer Arbeitswoche von 39 Wochenstunden, wie sie beispielsweise im Öffentlichen Dienst die Regel ist, kann diese enorme Arbeitsbelastung nicht aufrechterhalten werden. Wer heute eine Stelle als Ärztin oder Arzt antritt, ist sich dessen bewusst. Zwar ist im Arbeitsrecht die Arbeitszeit von Ärzten klar geregelt. Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) besagt, dass auf das gesamte Jahr gerechnet die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von Ärzten nicht mehr als 48 Stunden betragen darf. In diese Arbeitszeit sind nicht nur die Tagesdienste, sondern auch Bereitschafts- und Rufdienste inkludiert, ebenso zählen Überstunden dazu. Als erfahrener Anwalt für Arbeitsrecht in Göttingen setze ich mich dafür ein, dass Ärzte bereits vor Unterzeichnung des Arbeitsvertrages in einer umfassenden Beratung Wesentliches über einschlägige Arbeitsverträge erfahren.

Fakt ist jedoch, dass Theorie – die gesetzliche Regelung – und Praxis in vielen Kliniken auseinanderklaffen. Der Marburger Bund als Standesvertretung der Ärzte geht davon aus, dass rund 60 % aller Klinikärzte diese vorgegebene Wochenarbeitszeit überschreiten. Damit der Klinikbetrieb nicht nur in personeller Hinsicht, sondern auch rechnerisch weiterlaufen kann, greifen Klinikleitungen zur sogenannten Opt-Out-Regelung. Durch sie sind höhere Arbeitszeiten möglich, wenn dies im Tarifvertrag oder einer im Tarifvertrag begründeten Betriebs- oder Dienstvereinbarung so geregelt ist.

Zwar dürfen Ärzte bei der Einstellung oder im Beschäftigungsverhältnis nicht benachteiligt werden, wenn sie einer solchen Regelung nicht zustimmen. Die Rechtsgrundlage ist im § 7 Abs. 7 ArbZG festgelegt. Allerdings weichen auch hier Theorie und Praxis vielerorts voneinander ab. Vor allem junge Ärzte sind für das Erreichen einer ersten Anstellung bereit, eine höhere Arbeitsleistung zu erbringen. Überarbeitung kann dann die Folge sein, die wiederum eine ständige Fehlerquelle darstellt. Ärzte sind verpflichtet, Behandlungen abzulehnen, wenn sie dazu nicht mehr körperlich und geistig in der Verfassung sind. Arbeiten sie trotzdem weiter, kann ein Übernahmeverschulden erwachsen.

Behandlungsfehler: wer haftet

Auch die Ruhezeit zwischen den einzelnen Schichten muss eingehalten werden, wie sie in § 5 ArbZG festgehalten ist. Wird gegen diese Regelung verstoßen, kann daraus ein Behandlungsfehler erwachsen. Die Übertretung der Arbeitszeit und die Nichteinhaltung von Ruhepausen allein sind jedoch nicht das einzige Kriterium. Wenn Ärzte jedoch sichtbar erschöpft und müde sind, werden diese Punkte zur Entscheidung der Haftungsfrage herangezogen.

Ist der Behandlungsfehler eindeutig nachgewiesen, können zivilrechtlich zwei Anspruchsgegner in Regress genommen werden:

  • der behandelnde Arzt
  • der Klinikträger

Werden einem Arzt trotz fehlender Opt-Out-Regelung Überstunden angeordnet, kann er seinerseits die Klinikleitung wegen Organisationsverschulden in Regress nehmen, falls ihm ein Behandlungsfehler unterläuft. Ob und in welchem Rahmen er sich einer solchen Dienstanweisung widersetzen kann, ohne berufliche Nachteile zu erleiden, bedarf der arbeitsrechtlichen Klärung im Einzelfall. Kliniken können jedoch nicht grundsätzlich damit argumentieren, dass dem Arzt die Möglichkeit zur Ablehnung der Dienstanweisung offen stand.

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